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Virtual reality-based visual field training improves navigation performance in retinitis pigmentosa

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Gezieltes Blicktraining zur Verbesserung der Sehleistung hat seine Ursprünge bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts und ist eine wertvolle Methode, um Patienten mit vorliegenden Sehbeeinträchtigungen zu helfen, ihre visuelle Funktion zu steigern. Blickrichtungstraining führt nachweislich zur Verbesserung der Navigationsfähigkeit, da die Betroffenen lernen, ihre Augenbewegungen gezielt einzusetzen, um Hindernisse zu erkennen und ihnen auszuweichen. Das Training hilft die verbleibende Sehkapazität effektiver zu nutzen, wodurch Stürze und Kollisionen reduziert werden und somit das Unfallrisiko sinkt.1,2 Der Einsatz von Blickrichtungstraining zeigt sich vor allem effektiv bei einem eingeschränkten Gesichtsfeld, zum Beispiel aufgrund von Retinitis Pigmentosa (RP), Glaukom und bei homonymer Hemianopsie nach Schlaganfall oder Hirnverletzung. Patienten mit zentralem Sehverlust durch zum Beispiel Makuladegeneration oder Diabetische Retinopathie profitieren ebenfalls vom Training, indem sie lernen, das periphere Sehen beziehungsweise die verbleibenden Sehbereiche stärker zu nutzen.

Ab den 2000er Jahren wurden vermehrt Virtual-Reality (VR)-basierte Trainingsprogramme angeboten. Durch VR konnten die visuellen Trainings realistischer und effektiver gestaltet werden. VR-Technologien ermöglichen es, komplexe Szenarien und Hindernisparcours zu simulieren, die in traditionellen Trainingsumgebungen bis Dato nicht möglich waren.3,4

Die Leistungssteigerung nach einem VR-basierten Blicktraining in einer realen Umgebung bei RP Patienten bewiesen erstmals Neugebauer et al.5 in ihrer crossover randomisiert-kontrollierten Studie. In der Studie wurde ein nicht-invasives personalisiertes und adaptives Training mit zehn RP Patienten (9 weiblich, 1 männlich; 20 bis 60 Jahre), von denen acht die Studie beendeten, durchgeführt. Die Patienten durchliefen zwei vierwöchige Phasen, unterteilt in Trainingsphase und Kontrollphase. In der Trainingsphase trainierten die Teilnehmenden zu Hause mit dem Pico Neo 2 Eye VR-Headset, welches mit Brille oder Kontaktlinsen getragen werden konnte. Das Training mit der eigens entwickelten Blicktrainingssoftware „VR-Gaze-Trainingssoftware“ ging über drei bis vier Wochen insgesamt zehn Stunden und dauerte 30 Minuten pro Tag. Es bestand aus 20 Durchläufen pro Sitzung. Die Software erhöhte beziehungsweise reduzierte die Schwierigkeitsstufe nach jedem Durchlauf automatisch und passte sich damit der individuellen Leistung des Teilnehmers an.

In der Kontrollphase gingen die Teilnehmer ihrer normalen Alltagsroutine über eine ähnliche Dauer nach, ohne ein Blickrichtungstraining durchzuführen. Die Hälfte der Probanden startete mit der Test- und die andere Hälfte mit der Kon­troll­phase. Jeweils vor und nach den beiden Phasen wurde die Navigationsperformanz der Probanden in einer realen randomisierten Hindernisstrecke in experimenteller Umgebung evaluiert. Man verglich die benötigte Zeit pro Durchlauf und die Zahl der Kollisionen pro Durchlauf vor und nach dem Training und bestimmte so den Effekt des Trainings und verglich diesen mit dem Kontrolleffekt, der den Unterschied der Ergebnisse vor und nach der Kontrollphase beschreibt.

Das dynamische Gesichtsfeld (DVF) wurde durch Eye-Tracking während der realen Hindernisparcoursversuche bestimmt und war Grundlage für die Bestimmung des Sichtbereichs und dessen Änderung im Laufe der Trainings- und Kontrollphase. Sowohl die Blickrichtung als auch die Drehung des Kopfes wurden hierbei berücksichtigt.

Obwohl der durchschnittliche Anstieg des DVF nach dem Training signifikant war (4,41 %, p < 0,001), war der Unterschied zur Kontrollgruppe (2,06 %, p = 0,394) nicht signifikant. Drei von acht Teilnehmern zeigten einen deutlichen Anstieg der DVF, während zwei Teilnehmer einen Rückgang hatten. Kopfzentrierte Augenbewegungen zeigten keine signifikanten Änderungen der DVF nach dem Training (−0,052 %, p = 0,175) oder der Kontrolle (0,108 %, p = 0,383), und es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den Phasen (p = 0,148). Dies deutet darauf hin, dass der DVF-Anstieg hauptsächlich durch Kopfbewegungen verursacht wurde, obwohl zwei Teilnehmer auch eine Erhöhung der blickzentrierten DVF hatten.

Im Vergleich der Trainings- und Kontrollphasen auf Sakkadenmerkmale gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Sakkadenfrequenz stieg nach dem Training um 3,2 % und sank nach der Kontrolle um 1,73 % (p = 0,36). Das explorative Sakkadenverhältnis sank nach dem Training um 1,32 % und stieg nach der Kontrolle um 0,69 % (p = 0,44). Vertikale Augenbewegungen nahmen nach dem Training um 6,5 % zu, nach der Kontrolle um 0,39 % (p = 0,09). Die Richtung der Sakkaden im Verhältnis zur vorhergehenden Sakkade zeigte keine signifikanten Veränderungen (p = 0,068 für Winkel von 45° bis 135°, p = 0,53 für Winkel von mindestens 135°). Eine starke Abweichung zwischen den Patienten wurde beobachtet.

Dennoch hat das VR-Training, obwohl es im Sitzen beziehungsweise stehend ohne Fortbewegung der Probanden durchgeführt wurde, dazu geführt, dass sich deren Navigationsleistung bei realen Aufgaben verbesserte.

Neugebauer et al. sahen die Schwierigkeiten des Blicktrainings mit VR darin, die Software den individuellen Anforderungen gemäß anpassen zu können. Die VR-Software muss mit visuellen Trainingsaufgaben die Patienten fordern und motivieren, größere und häufigere Augenbewegungen durchzuführen. Basierend auf den eigenen Ergebnissen spekulieren die Autoren, dass die einzelnen Navigationsaufgaben das räumliche Bewusstsein der Probanden positiv beeinflusst.

Blickrichtungstraining wird seit den 1950er Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Mit der Integration moderner Technologien wie VR, hat sich die Effektivität und Anwendbarkeit dieser Trainingsmethoden erheblich verbessert, wodurch sie heute eine wichtige Rolle in der visuellen Rehabilitation spielen.

Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen veröffentlichen ihre Projekte und Software für virtuell basiertes Sehtraining auf ihren Webseiten oder in Open-Access-Repositorien. Ein Beispiele hierfür sind GitLab und GitHub. Beide stellen eine Vielzahl von Open-Source-Software unter anderen für Sehtraining bereit. Auf GitHub ist ebenfalls die von Neugebauer et al. verwendete Software veröffentlicht. Als weitere Möglichkeit VR-basiertes Sehtraining als Optometrist oder Ophthalmologe anzubieten, ist das Unternehmen Vivid Vision aus San Francisco zu nennen. Es entwickelt VR-Technologie für Sehtrainings. Eye-Care-Spezialisten weltweit haben die Möglichkeit als Partner ihren Patienten ein App basiertes VR-Sehtraining für Schwachsichtigkeit, für Konvergenzinsuffizienz sowie fehlende Stereotiefenwahrnehmung und Amblyopie zu Hause oder in der eigenen Praxis anzubieten.

Worauf warten wir noch?


[1] Neugebauer, A., Stingl, K.,Ivanov, I., Wahl, S. (2021). Influence of Systematic Gaze Patterns in Navigation and Search Tasks with Simulated Retinitis Pigmentosa. Brain Sci., 11, 223.

[2] Nelles, G., Esser, J., Eckstein, A., Tiede, A., Gerhard, H., Diener, H. C. (2001). Compensatory Visual Field Training for Patients with Hemianopia after Stroke. Neurosci. Lett., 306, 189–192.

[3] Ali, S. G., Wang, X., Li, P., Jung, Y., Bi, L., Kim, J., Chen, Y., Feng, D. D., Magnenat Thalmann, N., Wang, J., Sheng, B. (2023). A Systematic Review: Virtual-Reality-Based Techniques for Human Exercises and Health Improvement. Front. Public Health, 11, 1143947.

[4] Dehn, L. B., Piefke, M., Toepper, M., Kohsik, A., Rogalewski, A., Dyck, E., Botsch, M., Schäbitz, W.-R. (2020). Cognitive Training in an Everyday-­like Virtual Reality Enhances Visual-Spatial Memory Capacities in Stroke Survivors with Visual Field Defects. Top. Stroke Rehabil., 27, 442–452.

[5] Neugebauer, A., Sipatchin, A., Stingl, K., Ivanov, I., Wahl, S. (2024). Influence of Open-Source Virtual-Reality Based Gaze Training on Navigation Performance in Retinitis Pigmentosa Patients in a Crossover Randomized Controlled Trial. PLOS ONE, 19, e0291902.