Ein ungewöhnlicher Fall eines vertikalen Pseudostrabismus
Zweck: Diese Kasuistik beschreibt den seltenen Fall eines vertikalen Pseudostrabismus.
Material und Methoden: Es wird der Fall einer vierjährigen Patientin vorgestellt, die zur Beurteilung der Notwendigkeit einer Okklusionstherapie vorgestellt wurde. Anhand orthoptischer und ophthalmologischer Untersuchungen sowie unter Berücksichtigung der Literatur wird eine Einordnung der Therapieoptionen vorgenommen.
Ergebnisse: Die vollkorrigierte Sehschärfe betrug am rechten Auge 0,25 (logMAR 0,6) und am linken Auge 0,1 (logMAR 1,0). Die Untersuchung der Hornhautreflexe zeigte eine leichte Esotropie und ein ausgeprägtes Höhenschielen auf der rechten Seite (rechts über links). Der Covertest ergab jedoch keine Einstellbewegung. Die Fundusuntersuchung zeigte das Bild einer Retinopathia praematurorum mit Makulaektopie.
Fazit: Eine vertikale exzentrische Fixation ist ein seltenes Krankheitsbild. Daher muss die Therapie stets individuell entschieden werden.
Purpose: This case report describes a rare case of vertical pseudostrabismus.
Material and Methods: A case of a four-year-old female patient is presented to evaluate the necessity of occlusion therapy. The treatment options are based on orthoptic and ophthalmological examination, as well as a review of the literature.
Results: The fully corrected visual acuity was 20/80 (logMAR 0.6) in the right eye and 20/200 (logMAR 1.0) in the left eye. Corneal reflex examination revealed a slight esotropia and a pronounced vertical deviation of the right eye (right over left). However, the cover test did not detect a misalignment. Fundus examination revealed retinopathy of prematurity with macular ectopia.
Conclusion: Vertical eccentric fixation is a rare condition. Therefore, treatment should be tailored to the patients’ needs.
Einleitung
Ein Pseudostrabismus bezeichnet eine vermeintliche Schielstellung der Augen, ohne dass tatsächlich ein Strabismus vorliegt. Insbesondere bei Kleinkindern entsteht dieser Eindruck durch besondere Gesichts- oder Augenmerkmale, in der Regel durch einen breiten Nasenrücken. Während ein Strabismus als dauerhafte Abweichung des betroffenen Auges von der Orthostellung, die nicht durch einen Fusionsreiz korrigiert werden kann, definiert ist, handelt es sich bei einem Pseudostrabismus um einen optischen Verdacht einer Schielstellung bei dem aber beide Augen in der Orthostellung stehen. Die genaue Inzidenz von Pseudostrabismus ist schwer zu bestimmen. Xu et al.1 berichteten, dass in Minnesota die Prävalenz bei Kindern im ersten Lebensjahr bei etwa 4,2 % liegt, während Ryu und Lambert 2 eine Prävalenz von unter 1 % angaben. In über 96 % dieser Fälle lag ein Pseudostrabismus im Sinne einer Esotropie vor.1,2,3
Bei frühgeborenen Kindern mit Retinopathia praematurorum (ROP) sowie bei entzündlichen Netzhauterkrankungen wie der Chorioretinitis sind Pseudostrabismen durch Makulaektopien (die zentrale Retina ist verzogen, sodass sich die Makula in einem anderen Abstand zur Papille befindet) beschrieben.4 Das Risiko für Strabismus und Makulaektopie steigt mit dem Schweregrad der ROP und den daraus folgenden erforderlichen Interventionen.5
Material und Methoden
Eine vierjährige Patientin, ehemalige Frühgeburt 28. SSW, wurde zur Beurteilung einer weiteren Notwendigkeit einer Okklusionstherapie vorgestellt. Seit Geburt fiel ein Höhenschielen am rechten Auge auf. Die bisherige Okklusionstherapie wurde abwechselnd links und rechts durchgeführt, da die Augenstellung und der Visus sich widersprachen. Die Patientin trug seit dem ersten Lebensjahr eine Brille zum Ausgleich einer Hyperopie und eines Astigmatismus, die gut vertragen wurde.
Ergebnisse
Die Untersuchung mit Landdolt-Ringen im Abstand 17,2´ ergab einen Visus von 0,25 (logMAR 0,6) rechts und 0,1 (logMAR 1,0) links. Die Untersuchung der Augenstellung nach Hirschberg zeigte eine Verschiebung der Lichtreflexbilder nach oben und innen rechtsseitig, wohingegen sich links ein kleiner negativer Winkel Kappa (Verschiebung des Reflexes nach nasal) zeigte (Bild 1). Der Uncover- und Covertest zeigte jedoch keine Einstellbewegung, sodass der Verdacht eines Strabismus ausgeschlossen werden konnte. Die Untersuchung mit dem Spielmann-Okkluder erhärtete den Verdacht einer beidseitigen exzentrischen Fixation. Die Fixationsprüfung mit dem Sternchentest des direkten Ophthalmoskops zeigte eine beidseitige exzentrische Fixationsstelle (Bild 2). Der Fundus war mit ROP ohne Makulastrukturen im Bereich des rechten Fixationsortes beschrieben. Am linken Fundus waren Makulastrukturen zu erkennen. Eine OCT-Untersuchung zur Darstellung der Makulastrukturen im Bereich des Fixationsortes war beidseits nicht verwertbar.
Aufgrund der relativen Nähe des exzentrischen Fixationsortes und der fundusskopisch beschriebenen vorhandenen Makulastrukturen am linken Auge entschieden wir uns nach Rücksprache mit den Eltern, eine Dauerokklusion des rechten Auges durchzuführen. Ziel der Dauerokklusion sollte sein, am linken Auge die Fixation zu lockern, um eine funktional bessere Netzhautstelle als neue Fixationsstelle zu nutzen. Damit sollte zum einen eine Visusverbesserung am linken Auge erreicht als auch ein Fixationswechsel stattfinden, sodass im Anschluss eine unauffälligere Augenstellung entstehen würde.


Die Okklusionstherapie wurde 24 Stunden pro Tag für sechs Wochen durchgeführt (Dauerokklusion), wobei engmaschige Kontrollen zur Vermeidung von Komplikationen wie Doppelbildern erfolgten. Trotz korrekter Durchführung der Therapie zeigte sich keine Änderung des Fixationsverhaltens am linken Auge und auch keine Verbesserung der Sehschärfe, sodass die Okklusion nach sechs Wochen ohne Erfolg beendet wurde.
Diskussion
Vertikale exzentrische Fixationen im Kindesalter sind ausgesprochen selten. Die meisten in der Literatur beschriebenen Fälle stammen aus der Zeit vor 1960. In einer Übersichtsarbeit von Rados und Scholz 6 wurden insgesamt sieben Fälle mit vertikaler Makulaektopie (also die Verschiebung der Makulastrukturen der Retina nach oben) beschrieben, wobei die Ursache meist eine Chorioretinitis war. Scheiman et al.7 berichteten in ihrer Studie 40 Fälle mit Makulaektopie, wobei in 90 % eine temporale Verschiebung vorlag. Auch Sahin Karamert et al.5 berichten in ihrem Patientenkollektiv hauptsächlich von temporalen Makulaverschiebungen. Diese traten in den meisten Fällen einseitig auf. Sahin Karamert et al.5 konnte bei ihrem Patientengut mit Makulaektopie eine Verschiebung der Makula zur Papille im Mittel von 6,22 mm messen (Normalbefund 4,7 mm)8, wobei die Makulaverschiebung in den einzelnen Fällen zwischen 3 mm und maximal 13 mm lagen. Der Visus lag im Mittel zwischen 0,6 und 0,5 logMar (0,25 −0,33 dezimal). Der Publikation kann aber nicht die direkte Zuordnung von Visus zur jeweiligen Makulaverschiebung entnommen werden.
Die in unserem Fall vorliegende nasale Makulaverschiebung am linken Auge ist zwar seltener als eine temporale Verschiebung der Makula bei ROP, aber durchaus noch als typisch zu werten. Auffällig ist hingegen die Fixationsstelle am rechten Auge und der damit ermittelte Visus. Bei einer exzentrischen Fixation sind die Strukturen der Netzhaut unverändert und damit wäre am rechten Auge maximal ein Visus von 0,1 - 0,16 (1,0 - 0,8 logMar)9 zu erwarten. Da der vorliegende Visus rechts bei 0,25 lag, ist am rechten Auge von einer Makulaektopie auszugehen. Eine detaillierte Darstellung der Netzhautstrukturen mittels OCT wäre hier wünschenswert gewesen.
Die Literatur beschreibt sehr unterschiedliche Entwicklungen der Sehschärfe bei Makulaektopien.5,6,10 Der von Fabian et al.10 beschrieben Fall zeigte eine vertikale Makulaektopie im Bereich der oberen temporalen Arterie des Gefäßbogens mit einem vollen Visus.
Unsere Therapieentscheidung basierte auf der Annahme, dass neben einer Visusminderung durch die Veränderung der Makulastrukturen zusätzlich noch eine Amblyopie vorliegt. Eine organische Störung mit zusätzlicher Amblyopie wird auch relativen Amblyopie genannt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Diagnose einer relativen Amblyopie erst nach der Okklusionstherapie sichergestellt werden kann. In der Literatur gibt es Fälle, in denen eine Okklusionstherapie trotz schwerwiegender organischer Veränderungen und deutlich schlechterem Visus erfolgreich war.11,12 Aufgrund des Alters der Patientin, der bereits mehrfach durchgeführten Okklusionstherapie und der praktischen Schwierigkeiten im Alltag während der vorherigen Durchführungen, entschieden wir uns für eine Dauerokklusion. Diese Form der Okklusion ist umstritten, da sie aufgrund der langen Unterbrechung der Binokularität zu Schielen und Doppelbildern führen kann.13,14Unter der Therapie zeigte sich weder eine Veränderung der Fixation noch eine Verbesserung der Sehschärfe am linken Auge. Komplikationen traten nicht auf. Da keine Visusverbesserung erzielt wurde, muss die Diagnose einer relativen Amblyopie ausgeschlossen werden. Dies deutet darauf hin, dass die Netzhautstrukturen im linken Auge schwerer geschädigt sind als initial vermutet.
Fazit
Vertikale Pseudostrabismen sind selten und stets mit Fundusveränderungen assoziiert. Eine Okklusionstherapie sollte auch bei Makulaektopie erwogen werden, wobei der Erfolg in der Literatur unterschiedlich beschrieben wird.
Interessenkonflikt
Die Autorin hat keinen Interessenkonflikt in Bezug auf die im Artikel genannten Methoden und Geräte.
zur Erlangung der Doktorwürde der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (Germany), https://open.fau.de/server/api/core/
bitstreams/18425bfb-c61d-41e7-91c2-6a1d7682f428/content. Referencing: 09 January 2025.