Netzhautriss – optometrisches Management
Zweck:
Die vorliegende Kasuistik beschreibt das optometrische Management bei einem peripheren Netzhautriss, welcher im Rahmen einer optometrischen Untersuchung aufgedeckt wurde. Sie soll Optometrist*innen und Augenoptiker*innen für das Thema Netzhautrisse und Netzhautablösung sensibilisieren.
Material und Methoden:
Im Rahmen einer optometrischen Augenuntersuchung wurde der Fundus mit einem Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskop beurteilt. In der Fundusperipherie wurde dabei ein Netzhautriss entdeckt.
Ergebnisse:
Nach einer umfassenden optometrischen Untersuchung wurde der Patient über den Befund eines peripheren Netzhautrisses und dessen Folgen beraten und an eine Augenklinik überwiesen. In der Klinik wurde die Diagnose bestätigt. Die Behandlung bestand aus einer vorbeugenden Laser-Retinopexie, um das Risiko einer späteren Risserweiterung und Netzhautablösung zu verringern.
Fazit:
Der in dieser Kasuistik vorgestellte Netzhautriss wurde als Zufallsbefund aufgedeckt. Der Patient konnte an eine Augenklinik zur fachärztlichen Diagnosestellung und präventiven Behandlung überwiesen werden. Der Fall zeigt, dass eine umfangreiche optometrische Augenuntersuchung nicht nur das Management von verordnungsrelevanten Fehlsichtigkeiten ermöglicht, sondern auch einen Beitrag im Sinne der Gesundheitsvorsorge leisten kann. Die optometrische Einbeziehung in eine umfassende Augenuntersuchung hat das Potenzial, zu einer früheren Diagnose zu führen, wodurch Behandlungsstrategien in einem früheren Stadium umgesetzt werden können. Zusammen können eine frühere Diagnose und eine frühere Intervention langfristig zu besseren Gesundheitsergebnissen führen
Purpose:
This case report describes the optometric management of a peripheral retinal tear that was discovered during an optometric eye examination. It is intended to sensitize optometrists and ophthalmic opticians to the topic of retinal tears and retinal detachment.
Material and Methods:
During an optometric eye examination, the fundus was examined using an ultra-widefield laser scanning ophthalmoscope. A retinal tear was detected in the fundus periphery.
Results:
After the comprehensive optometric examination, the patient was informed about the finding of a peripheral retinal tear and its consequences and referred to an eye clinic. At the eye clinic, the diagnosis was confirmed. Treatment consisted of preventive laser retinopexy to reduce the risk of subsequent tear extension and retinal detachment.
Conclusion:
The retinal tear presented in this case report was detected as an incidental finding. The patient was referred to an eye clinic for specialist diagnosis and preventive treatment. The case shows that a comprehensive optometric eye examination not only enables the management of relevant refractive errors, but can also make a contribution in terms of preventive health care. Optometric involvement in eye care has the potential to lead to earlier diagnosis, allowing treatment strategies to be implemented at an earlier stage. Together, earlier diagnosis and earlier intervention can lead to better long-term health outcomes.
EInleitung
Ein 25-jähriger Mitteleuropäer stellte sich zur optometrischen Augenuntersuchung vor. Der Patient berichtete über leichtes beidseitiges verschwommenes Sehen, welches er seit etwa einem Jahr bemerkte. Bisher wurde bei ihm noch keine Augenuntersuchung durchgeführt. Bis zum Zeitpunkt der Untersuchung hatte der Patient noch keine Sehhilfe getragen. Den Führerscheinsehtest hatte er mit 18 Jahren ohne Brille oder Kontaktlinse bestanden. Die Familienanamnese ergab, dass die Mutter leicht myop und der Vater presbyop sei. Augenerkrankungen und Allgemeinerkrankungen waren zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung nicht bekannt.
Im Rahmen der optometrischen Augenuntersuchung wurde der Fundus unter anderem mit dem Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskop Daytona (Optos, Dunfermline, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland) beurteilt. Dabei wurde als Zufallsbefund in der Fundusperipherie des rechten Auges ein asymptomatischer Netzhautriss (synonym Netzhautforamen) aufgedeckt. Ein Netzhautriss stellt ein ernst zu nehmendes Risiko dar und kann zu einer Netzhautablösung führen.
Netzhautrisse treten bei 20 Prozent aller Augen mit symptomatischer hinterer Glaskörperabhebung auf; asymptomatische Netzhautrisse, also ohne erkennbare Krankheitszeichen, sind bei acht Prozent der Allgemeinbevölkerung vorhanden.1 Von einer Netzhautablösung spricht man bei einer Abhebung der sensorischen Netzhaut vom retinalen
Pigmentepithel.1
Material und Methoden
Der Patient stellte sich innerhalb von sechs Tagen zwei Mal zur optometrischen Untersuchung vor. An beiden Tagen erfolgte die Fundusuntersuchung für den zentralen Fundus mit einer 90D-Lupe (90D, Volk Optical, Mentor, Vereinigte Staaten von Amerika). Digitale Fundusbilder wurden mit dem Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskop Daytona (Optos, Dunfermline, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland) aufgenommen. Dabei wurden unter anderem die Optomap-Bildmodalitäten Farbe (Mischbild aus grünem und rotem Laser), Rotfrei (grüner Laser) und Choroidal (roter Laser) gespeichert. Bei diesem konfokalen Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskop scannt ein grüner Laser (532 nm) von der sensorischen Netzhaut bis zum retinalen Pigmentepithel und ein roter Laser (633 nm) vom retinalen Pigmentepithel bis zur Aderhaut. Es liefert hochauflösende Ultra-Weitwinkel-Panoramabilder, die bis zu 82 Prozent beziehungsweise 200 Grad der Netzhaut in einer Aufnahme erfassen können.4 Nur durch den Einsatz dieser Technologie war es dem Optometristen möglich, die Netzhaut bis über die Vortexvenen hinaus undilatiert zu beurteilen und den Netzhautriss zu finden.
Die medizinische Diagnose und präventive Behandlung, mittels Laser-Retinopexie, erfolgte am Tag der Erstuntersuchung in einer Augenklinik.
Ergebnisse
Erstuntersuchung
Anamnese
- Geschlecht und Alter: männlich, 25 Jahre
- Gründe für Augenuntersuchung: Erstuntersuchung, seit einem Jahr leichtes beidseitiges verschwommenes Sehen in der Ferne
- aktuell genutzte Sehhilfen: keine, Führerscheinsehtest wurde mit 18 Jahren ohne Sehhilfe bestanden
- Augen-/Allgemein-/Erkrankungen/Medikamente/Operationen: keine
- Familie: keine Augenerkrankungen bekannt, Mutter: myop, Vater: presbyop
Refraktion und Visus
- OD: sph −0,25 dpt cyl −1,25 dpt Achse 93° / Vcc 1,25 (−0.1) Vsc 0,63 (0.2)
- OS: sph −0,25 dpt cyl −1,25 dpt Achse 87° / Vcc 1,25 (−0.1) Vsc 0,63 (0.2)
Sehhilfe
Die verordnungsrelevante Fehlsichtigkeit wurde später durch eine Fernbrille mit Einstärkengläsern ausgeglichen.
Funktions- und Screening-Tests
- Motilitätstest: OD/OS SAFE
- Cover-/Uncover-Test für Ferne und Nähe: OD/OS unauffällig
- Pupillenreaktionstest: OD/OS PERRLA (Pupils Equal, Round, Reactive to Light and Accommodation)
- Stereopsis: positiv
- Amsler-Test: OD/OS unauffällig
- Perimetrie, 30 Grad: OD/OS unauffällig
- Non-Contact-Tonometrie: um 14:00 Uhr
- – OD: 15 mmHg
- – OS: 14 mmHg
Vorderer und mittlerer Augenabschnitt
- Spaltlampenuntersuchung des vorderen und mittleren Augenabschnitts: OD/OS altersentsprechend, unauffällig
- Hornhaut-Topographie:
- – OD: unauffällig, mittlerer Hornhautradius 7,4 mm, mittlere Brechkraft 45,9 dpt
- – OS: unauffällig, mittlerer Hornhautradius 7,3 mm, mittlerer Brechkraft 46,4 dpt
Hinterer Augenabschnitt
- indirekte Ophthalmoskopie und Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskopie:
- – OD: Makula: unauffällig; Sehnerv: unauffällig, CDR 0,3; Gefäße: unauffällig; Peripherie: asymptomatischer Netzhautriss in der temporären Peripherie, Ausdehnung des Risses 5 Papillendurchmesser
- – OS: Makula: unauffällig; Sehnerv: unauffällig, CDR 0,3; Gefäße: unauffällig; Peripherie: unauffällig
Beim Patienten wurden am linken Auge keine klinisch relevanten Auffälligkeiten gefunden. Daher wird hier im Folgenden nur auf das rechte Auge eingegangen (Bild 1).
Der Patient wurde im Anschluss an die optometrische Untersuchung über den Zufallsbefund sowie über die optometrische Verdachtsdiagnose aufgeklärt.6 Ihm wurde ein Bericht samt optometrischer Verdachtsdiagnose mit der Empfehlung übergeben, sich umgehend in einer Augenklinik vorzustellen.5,7,8,9

Hinterer Augenabschnitt
- indirekte Ophthalmoskopie und Ultra-Weitwinkel-Laser-Scanning-Ophthalmoskopie:
- OD: Makula: unauffällig; Sehnerv: unauffällig, CDR 0,3; Gefäße: unauffällig; Peripherie: asymptomatischer Netzhautriss in der temporären Peripherie, Ausdehnung des Risses 5 Papillendurchmesser, frischer Laserriegel um den Netzhautriss
Um den Netzhautriss herum wurde ein Laserriegel gesetzt. Zu sehen sind die frischen Laserherde (rote Pfeile), die bei der Laser-Retinopexie entstanden sind (Bild 2)

Diskussion
In dieser Falldiskussion wird auf die Netzhautablösung, insbesondere auf die rhegmatogene Netzhautablösung, eingegangen. Falls eine Progression aufgetreten wäre, hätte der beschriebene asymptomatische Netzhautriss am wahrscheinlichsten zu dieser Form geführt.
Netzhautablösung
Als Netzhautablösung (syn. Ablatio retinae, Amotio retinae) wird die Ablösung der neurosensorischen Netzhaut von ihrer Versorgungsschicht, dem retinalen Pigmentepithel bezeichnet. Bei einer Netzhautablösung wird je nach Ursache zwischen drei Formen unterschieden. Diese sind die rhegmatogene (syn. rissbedingte), traktive (syn. zugbedingte) und exsudative (syn. seröse) Netzhautablösung.1
Die rhegmatogene Netzhautablösung
Die rhegmatogene Netzhautablösung (syn. rissbedingte Netzhautablösung) entsteht durch einen Defekt in der sensorischen Netzhaut, durch den Flüssigkeit aus dem verflüssigten Glaskörper in den subretinalen Raum eindringen kann.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die rhegmatogene Netzhautablösung betrifft jährlich etwa einen von 10.000 Menschen,1 wobei in etwa sechs bis zehn Prozent aller Fälle meist beide Augen betroffen sind.2
In den meisten Fällen ist sie durch das Vorhandensein eines Netzhautrisses in Verbindung mit einer vitreoretinalen Traktion in Folge einer hinteren Glaskörperabhebung gekennzeichnet. Dies führt zu einer Ansammlung von subretinaler Flüssigkeit zwischen der neurosensorischen Netzhaut und dem darunterliegenden retinalen Pigmentepithel. Beim Vorhandensein eines Netzhautrisses kommt es nur selten zu einer Netzhautablösung, wenn der Glaskörper noch nicht oder nur teilweise verflüssigt ist und keine Traktion vorliegt.1
Neben einer hinteren Glaskörperabhebung kann der Verlust des Glaskörpers in Folge einer komplizierten Kataraktoperation, eine Laser-Kapsulotomie des Nachstar aber auch ein direktes schweres Bulbustrauma das Risiko für eine Netzhautablösung erhöhen.2 Als weitere Ursachen sind neben Netzhautrissen, periphere Läsionen wie die gittrige Degeneration, die Schneckenspurdegeneration, die degenerative Retinoschisis, Weiß mit Druck oder ohne Druck und die angeborene Netzhautrosette zu nennen.1
Zu beachten ist, dass über 40 Prozent aller Netzhautablösungen in myopen Augen auftreten.2
Symptome
Klassische Warnsymptome einer Netzhautablösung, die bei etwa 60 Prozent aller betroffenen Menschen auftreten, sind Blitze im Dunkeln bei Kopf-und Augenbewegungen und Floater (syn. Glaskörperflocken) wie zum Beispiel Muscae volitantes (lat. für fliegende Fliegen).1,2,7 Diese Symptome sind typisch für eine akute hintere Glaskörperabhebung. Ebenso können dunkle undurchsichtige Schatten im Gesichtsfeld und die plötzliche Abnahme des Visus auf dem betroffenen Auge Anzeichen für eine Netzhautablösung sein.1,2,7
Als Differentialdiagnose für einige dieser Symptome sind unter anderem das Glaukom, die Zentralvenenthrombose und der Zentralarterienverschluss zu nennen.
Therapie
Bei der rhegmatogenen Netzhautablösung spielt die Zeit bis zur Operation für den Visus, eine entscheidende Rolle.3 Eine Metaanalyse von 1.929 Patient*innen aus 20 Studien ergab die folgende Empfehlungen: „Bei abgelöster Makula wird der beste Visus erreicht, wenn die Operation innerhalb von drei Tagen durchgeführt wird. Bei anliegender Makula werden die besten Visusergebnisse, bei einer Operation, innerhalb von 24 Stunden erreicht“. Zur Therapie der Netzhautablösung stehen unterschiedliche relativ sichere chirurgische Verfahren zur Auswahl.8 Zwei häufig angewandte chirurgische Verfahren sind die Buckelchirurgie und die pneumatische Retinopexie.1
Prophylaxe
Um das Risiko für eine Netzhautablösung zu verringern, werden kleinere Netzhautrisse oder periphere Läsionen mittels Laser-Retinopexie oder Kryoretinopexie prophylaktisch umstellt.7,8,10
Bei der Laser-Retinopexie werden die neurosensorische Netzhaut und das retinale Pigmentepithel mit der Aderhaut verschweißt.1 Die zweite Möglichkeit ist die Kryoretinopexie. Dabei wird das Gewebe um die Läsion mit einer Kryotherapie-Sonde, dessen Spitze −85 °C erreicht, vereist und der Riss mit einer chorioretinalen Atrophie umschlossen.1
Optometrisches Management
Der in der äußersten Netzhautperipherie gelegene asymptomatische Netzhautriss konnte frühzeitig im Rahmen einer optometrischen Untersuchung aufgedeckt und zur Behandlung an eine Augenklinik überwiesen werden. Hierdurch wurde das Risiko für eine Netzhautablösung nachhaltig verringert.
Bei Augen mit erhöhtem Risiko für eine Netzhautablösung, zum Beispiel bei hoher Myopie, sollte die Anamnese die klassischen Warnsymptome berücksichtigen.2,7 Beim Auftreten von akuten Symptomen sollte schnellstmöglich eine Fundusuntersuchung, welche auch die periphere Netzhaut mit einschließt, durchgeführt werden.1,2,5 Es muss bis zum Beweis des Gegenteils immer von einer Netzhautablösung ausgegangen werden. Bei unklaren Symptomen und/oder unklaren klinisch optometrischen Befunden sollte daher eine ophthalmologische Augenuntersuchung am selben Tag erfolgen.5
Die Dokumentation aller Ergebnisse der optometrischen Untersuchung, der Abschlussbeurteilung, der Beratung und Versorgung sind aus Gründen der Auftragsabwicklung, der Gewährleistung, der Haftung und der gesetzlichen Vorschriften fachgerecht und gemäß den aktuell geltenden Rechtsvorschriften zu führen und zu archivieren.6
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Netzhautriss ebenso wie eine Netzhautablösung einen medizinischen Notfall darstellt und den Visus akut bedrohen kann.7 Es muss daher immer zeitnah an eine ophthalmologische Klinik überwiesen werden.5,7,8,9,10 Richtlinien für Optometrist*innen bietet hierfür zum Beispiel das Moorfields Manual of Ophthalmology und die Internetseite des National Health Service (NHS) Scotland.5,9 Weitere Handlungsempfehlungen ergeben sich in Deutschland aus den Leitlinien des Berufsverband der Augenärzte Deutschlands, der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und der Retinologischen Gesellschaft, die auf den Internetpräsenzen der Vereinigungen zu finden sind.2,10
Interessenkonflikte
Der Autor erklärt, dass er innerhalb der vergangenen drei Jahre Vortragshonorare von dem Unternehmen Optos erhalten hat. Optos hatte jedoch keinen Einfluss auf die Inhalte.