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Anwendung und Nutzen der Virtuellen Realität (VR) bei Amblyopie

Technologien erfinden ist das eine, sie entsprechend anzuwenden und ihren Einsatz zu maximieren ist in einer schnelllebigen Zeit mit rasanten Entwicklungsschritten eine große Herausforderung.

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Eine von vielen Entwicklungen in der digitalen Technologie ist die Virtuelle Realität, <eng> Virtual Reality (VR). Die VR ermöglicht den Nutzern durch eine computerbasierte 3D-Umgebung in eine simulierte Welt mit gleich mehreren Sinnen einzutauchen: visuell, akustisch und/oder haptisch.1

Die Studie „The Potential of Virtual Reality for Inducing Neuroplasticity in Children with Amblyopia“ der Virtual Reality Clinical Outcomes Research Experts (VR-CORE) Group um María Begoña Coco-Martín (2020)2 beschreibt die bisherigen Erfolge bei Amblyopie-Behandlungen mit VR
bei Kindern.

Als Grundlage der Überlegung, die VR zur Rehabilitation einzusetzen, dient das Wissen um die sensomotorische Anpassungsfähigkeit des Nervensystems. Der Effekt maximaler Entwicklung neuronaler Netze verstärkt sich bei multisensorischer Stimulation. Bei der VR werden immer mehrere Körperteile/Funktionen angesprochen und interagieren miteinander. Das Ergebnis ist, dass das visuelle System durch umfangreiches Üben und Training verbessert
werden kann.3

VR-basierte Therapien induzieren eine kortikale Reorganisation, was eine Veränderung der Repräsentation der durch die VR angesprochenen Körperteile im Gehirn bewirkt. Die Anwendung von VR fördert unabhängig vom Alter die Aktivierung verschiedener neuronaler Verbindungen. Ihr Vorteil besteht darin, individuell anpassbar zu sein und jedes Auge unabhängig voneinander einzeln trainieren zu können. Dieses Vorgehen, jedem Auge ein separates Bild darzubieten, wird als dichoptischer Stimulationsansatz bezeichnet. Des Weiteren ist es mit der Technologie möglich, Wiederholungen anzubieten, die sich nach jeder Übungsstunde am Leistungsstand anpassen können und somit einen optimalen Lerneffekt bieten. Ebenso wird hierdurch die individuelle Motivation erhöht. Zusätzlich können Kontrastempfindlichkeit, Stimulusgröße und räumliche sowie zeitliche Frequenz, neben weiteren Merkmalen, während der Amblyopie Behandlung manipuliert werden.

VR-Spiele verbessern kognitive Fähigkeiten

Visuelle Reize können bei der Therapie entweder über einen Bildschirm oder zum Beispiel über eine VR-Brille, die eine vollständige visuelle Abtrennung von der Umgebung erzeugt, dargeboten werden.

VR-Spiele, die für das Gesundheitswesen angepasst wurden, erreichen ihre Spieler auf gleich mehreren Ebenen, unter anderem kognitiv, physisch und wahrnehmungsbezogen. Allgemein lässt sich sagen, dass Kinder, die regelmäßig VR-Spiele spielen, verbesserte kognitive Fähigkeiten in den Bereichen Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung, Aufgabenwechsel und mentale Rotation besitzen. Positive visuelle Effekte zeigen sich im Zusammenhang mit dem peripheren Sehen, räumlichen Sehen, der Kontrastfähigkeit und einem verringerten Crowding-Effekt.

In einer klinischen Umgebung konnte durch die Präsentation visueller Reize die Amblyopie reduziert werden. Die Studie von Polat et al. (2009)4 ergab, dass amblyope Kinder bei der Anwendung von VR-Spielen ihren Visus um zwei Visusstufen (2,12 ETDRS-Linien) sowie ihr Kontrastempfinden verbessern konnten. Das Training umfasste maximal 20 Übungsstunden, zwei Übungen/Woche à 30 Minuten. In Kombination der Anwendung mit einem dichoptischen Training, wie es Li et al. (2015)5 durchführten, resultierten neun Stunden Visualtraining mit dichoptischen Filmen über einen Zeitraum von zwei Wochen in einer Verbesserung der Sehschärfe von 1 bis 4 ETDRS-­Linien bei amblyopischen Kindern im Alter von vier bis zehn Jahren.

Nicht für jeden ist diese Art der Therapie anwend- und vertretbar. VR-Systeme, die am Kopf befestigt werden und einen eigenen, abgeschlossenen Raum suggerieren, können Sehstörungen, Schwindel und Übelkeit bis hin zu Krampfanfällen und epileptischen Anfällen bei lichtempfindlichen Personen, insbesondere bei Kindern bewirken. Tritt ein Vergenz-Akkommodationskonflikt auf, kann dies ebenso visuelle Beschwerden hervorrufen. Einen großen Vorteil sehen die Autoren darin, dass die Compliance bei einer VR Therapie besser ist, als bei der konventionellen Therapie, die auf das Abdecken oder –kleben des Visus besseren Auges beruht. Eine soziale Stigmatisierung, eine lange Behandlungsdauer oder Nachteile der physikalischen Eigenschaften des Pflasters selbst (Design, Wärme, Reizung, schlechtes Haftmaterial usw.) können durch Anwendung der VR umgangen werden.

Weitere klinische Studien sind erforderlich

Die positiven Veränderungen im Zusammenhang mit dem visuellen System, kritisieren die Forscher der Studie, sind bisher unzureichend erforscht, da die meisten klinischen Studien lediglich okuläre Nebenwirkungen bei der Anwendung von VR beschreiben beziehungsweise die VR dazu nutzen, Augenerkrankungen zu identifizieren. Weitere klinische Studien mit einer großen Anzahl von Probanden sind erforderlich, um die vielversprechenden Ergebnisse der VR-basierten Therapie zur Wiederherstellung der Seh- und Binokularfunktion, insbesondere auch die Stereosehschärfe, zu dokumentieren und die Behandlungsform mit Hilfe der Ergebnisse zu optimieren

 

Literaturverzeichnis

[1] Deutsch, J.E., and Westcott McCoy, S. (2017). Virtual Reality and Serious Games in Neurorehabilitation of Children and Adults: Prevention, Plasticity, and Participation. Pediatr. Phys. Ther., 29, S23–S36.

[2] Coco-Martin, M.B., Piñero, D.P., Leal-Vega, L., Hernández-Rodríguez, C.J., Adiego, J., Molina-Martín, A., de Fez, D., and Arenillas, J.F. (2020). The Potential of Virtual Reality for Inducing Neuroplasticity in Children with Amblyopia. J. Ophthalmol., 2020, 7067846.

[3] Deveau, J., and Seitz, A.R. (2014). Applying perceptual learning to achieve practical changes in vision. Front. Psychol. 5, 1166.

[4] Polat, U., Ma-Naim, T., and Spierer, A. (2009). Treatment of children with amblyopia by perceptual learning. Vision Res., 49, 2599–2603.

[5] Li, S.L., Reynaud, A., Hess, R.F., Wang, Y.-Z., Jost, R.M., Morale, S.E.,
De La Cruz, A., Dao, L., Stager, D., and Birch, E.E. (2015). Dichoptic movie viewing treats childhood amblyopia. J. A.A.P.O.S., 19, 401–405.