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Artifizielle Intelligenz in der Augenheilkunde – der Wert von künstlichen neuronalen Netzwerken

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Die Augenheilkunde hat sich in den vergangen Jahren zum Forschungsschwerpunkt innerhalb der Artifiziellen Intelligenz (AI), auch Künstliche Intelligenz (KI) genannt, entwickelt. Das hier zu Grunde liegende Forschungsfeld ist umfassend und beschäftigt sich mit jedem Abschnitt des Auges.

Die Autoren der Studie „Deep Learning for Predicting Refractive Error From Retinal Fundus Images“ von Avinash V. Varadarajan, Ryan Poplin, Katy Blumer et al. (2018)1 konzentrieren sich in ihrer Forschung auf das Refraktionsdefizit. Sie bewerten inwieweit die Anwendung der AI zur Ableitung des Refraktionsdefizits auf Basis von Fundusfotografien und OCT-Aufnahmen möglich ist. Als Grundlage nutzen sie das Wissen aus früheren Studien, dass ein Brechungsfehler, insbesondere eine axiale Ametropie, mit charakteristischen Veränderungen des Fundus verbunden ist. Um die Studie zu realisieren, nutzen sie 24.007 Datensätze aus der Age-Related Eye Disease Study (AREDS) aus den USA. Die Daten  enthielten subjektive Refraktionswerte und Netzhautaufnahmen (30°Ausschnitt der Makula) mittels Fundusfotografie, von Teilnehmenden im Alter von 55 bis 80 Jahren. Weitere 15.750 Datensätze stammen aus der Beobachtungsstudie, UK Biobank aus Großbritannien. Diese beinhalteten eine objektive Refraktion und OCT-Aufnahmen (45° Ausschnitt der Makula) mit Teilnehmenden zwischen 40 und 69 Jahren.

Die Daten wurden genutzt, um ein künstliches neuronales Netzwerk aufzubauen. Deep Learning ist der Prozess des Lernens der richtigen Parameterwerte („Training“) der AI, sodass diese eine bestimmte Aufgabe ausführt, zum Beispiel das Generieren einer Vorhersage aus den Pixelwerten in einer Netzhautaufnahme. Beim Deep Learning baut sich ein künstliches neuronales Netzwerken (Algorithmus) auf. In diesem Fall konnten 10 % der knapp 40.000 Datensätze validiert werden, um die AI zu trainieren, die Ergebnisse zu interpretieren. Durch die verwendete Aufmerksamkeitstechnik wurden neue Bildmerkmale von der AI visualisiert und identifiziert. Die restlichen Datensätze dienten der Optimierung und Prüfung der Vorhersagbarkeit.

Der resultierende Algorithmus lieferte das Refraktionsdefizit auf Basis des sphärischen Äquivalents und den OCT-Aufnahmen mit einem mittleren absoluten Fehler von 0,56 dpt. Der mittlere absolute Fehler bei der Berechnung auf Grundlage von Fundusfotografie war höher und betrug 0,91 dpt. Die Aufmerksamkeitsmerkmale, die die künstlichen neuronalen Netzwerke zur Vorhersage nutzen, waren über den gesamten 30°-45° Ausschnitt der Makula verteilt. Jedoch zeigte die Auswertung, dass die Fovea einer der wichtigsten Bereiche war, die vom Algorithmus für diese Vorhersage verwendet wurden.

Die Studiengruppe schlussfolgert, dass die AI zukünftig die Fähigkeit besitzen wird, Brechungsfehler mit hoher Genauigkeit aus bildgebenden Verfahren abzuschätzen. Das Deep-Learning-Modell hat eine hohe Genauigkeit bei der Vorhersage des sphärischen Äquivalents gezeigt, jedoch nicht bei der Vorhersage des zylindrischen Wertes. Dies wurde bereits erwartet, da der Astigmatismus das Ergebnis der Torizität der Hornhaut und/oder der Augenlinse ist. Diese Informationen standen dem verwendeten Modell nicht zur Verfügung.

Abschließend lässt sich sagen, dass die AI im medizinischen Sektor in schnellen Schritten vorankommt und ihr Potenzial vielfältig ist. Die AI unterstützt bei der Diagnose von seltenen Erkrankungen durch eine gezielte Differenzierung von Funktionsstörungen oder strukturellen Änderungen mit sehr ähnlichem Erscheinungsbild. Dadurch kann eine frühzeitige Therapie einsetzen und erstmalig auch die Klassifizierung bestimmter Pathologien vorgenommen werden, wie am Beispiel des Papillenödems2 und der myopen Makuladegeneration3 bewiesen. Ein weiteres Forschungsfeld ist der Einsatz der AI und Deep Learning im automatisierten Erkennungsprozess. Angewandt wird dieser u.a. zur Erkennung der diabetischen Retinopathie und des Makulaödems4 sowie des Keratokonus.5 Als Vorhersagemodell dient die AI zum Beispiel bei der Myopieentwicklung bei Jugendlichen.6

Die AI charakterisiert Merkmale, die medizinische Experten normalerweise nicht allein aus Bildern extrahieren können, wie z.B. Alter, Geschlecht, Blutdruck und andere kardiovaskuläre Gesundheitsfaktoren.7 Nicht immer können die Anwendenden bestimmen, an Hand welcher Manifestationen die AI diese Zusammenhänge erkannt hat. Ob das durch das künstliche neuronale Netzwerk berechnete Refraktionsdefizit in der Praxis einmal relevant sein wird, kann heute noch nicht abgeschätzt werden.

 

Literaturverzeichnis

[1] Varadarajan, A. V., Poplin, R., Blumer, K., Angermueller, C., Ledsam, J., Chopra, R., Keane, P. A., Corrado, G. S., Peng, L., Webster, D. R. (2018).
Deep Learning for Predicting Refractive Error From Retinal Fundus Images. Invest. Ophthalmol. Vis. Sci., 59, 2861-2868

[2] Vasseneix, C., Najjar, R. P., Xu, X., Tang, Z., Loo, J.L., Singhal, S., Tow, S., Milea, L., Wei Sw Ting, D. Shu,Liu, Y., Wong, T. Y., Newman, N. J., Biousse, V., Milea, D. (2021). Accuracy of a Deep Learning System for Classification of Papilledema Severity on Ocular Fundus Photographs. Neurology.

[3] Flitcroft, D. I., He, M., Jonas, J. B., Jong, M., Naidoo, K., Ohno-Matsui, K., Rahi, J., Resnikoff, S., Vitale, S., Yannuzzi, L. (2019). IMI - Defining and Classifying Myopia: A Proposed Set of Standards for Clinical and Epidemiologic Studies. Invest. Ophthalmol. Vis. Sci., 60, M20-M30.

[4] Cheung, C. Y., Tang, F., Ting, D. S. W., Tan, G. S. W., Wong, T. Y. (2019). Artificial Intelligence in Diabetic Eye Disease Screening. Asia Pac. J. Ophthalmol. (Phila).

[5] Feng, R., Xu, Z., Zheng, X., Hu, H.,Jin, X., Chen, D. Ziyi,Yao, K., Wu, J. (2021). KerNet: A Novel Deep Learning Approach for Keratoconus and Sub-clinical Keratoconus Detection Based on Raw Data of the Pentacam System. IEEE J. Biomed. Health Inform.

[6] Yang, X., Chen, G., Qian, Y., Wang, Y., Zhai, Y., Fan, D.,Xu, Y. (2020). Prediction of Myopia in Adolescents through Machine Learning Methods. Int. J. Environ Res. Public Health, 17

[7] Poplin, R., Varadarajan, A. V., Blumer, K., Liu, Y., McConnell, M. V., Corrado, G. S., Peng, L.,Webster, D. R. (2018). Prediction of cardiovascular risk factors from retinal fundus photographs via deep learning. Nat. Biomed. Eng.,158-164.