Binokularsehen und Forschung
Obwohl ein gutes Binokularsehen eine wichtige Voraussetzung für ein beschwerdefreies Sehen ist, ist sein Stellenwert heute in der Fachwelt teilweise geringer als dies vor Jahren noch der Fall war. Hierfür gibt es verschiedenste Gründe, auf welche ich in diesem Editorial aber nicht eingehen möchte. Ein Faktum aber ist die Tatsache, dass gerade im deutschsprachigen Raum Europas in den letzten Jahren weniger Forschungsprojekte aus dem Gesamtkomplex Binokularsehen bekannt wurden, als in der Vergangenheit.
Dass dies international nicht gilt, zeigt dagegen schon eine kurze PubMed-Suche mit der Eingabe „Binocular Vision 2024“ vom 6. Juli 2024. Unter den hier gelisteten 343 Publikationen fanden sich sowohl neue Bücher als auch Forschungsarbeiten und Literatur-Reviews zu den unterschiedlichsten Fragestellungen aus dem Gesamtkomplex Binokularsehen.
Ein sehr interessantes Paper wurde in diesem Kontext von Wiecek et al. mit dem Titel „Peripheral Binocular Imbalance in Anisometropic and Strabismic
Amblyopia“ in der IOVS April-Ausgabe 2024 publiziert.1 In dieser Studie untersuchten die Wissenschaftler Unterschiede im peripheren binokularen Ungleichgewicht bei Kindern mit einer anisometropischen Amblyopie, einer Strabismus bedingten Amblyopie und einem normalen Binokularsehen. Ein zentrales Ergebnis der Publikation war, dass auf Grund der gefundenen Unterschiede bei den verschiedenen Amblyopie-Subtypen, eine individualisierte dichoptische Behandlung bei Betroffenen zur Reduzierung einer Amblyopie empfehlenswert ist.
Eine weitere ebenfalls sehr interessante Studie wurde von Chu-chu Zhuang et al. in der Januar-2024-Ausgabe des „Journal of Ophthalmology“ mit dem Titel „Accommodation and Binocular Vision in Children with Myopic Anisometropia“ veröffentlicht.2 Auch bei dieser Forschungsarbeit ging es um die Anisometropie und ihren Einfluss auf das Binokularsehen. Statistisch signifikant zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer myopischen Anisometropie sowie der Qualität verschiedener Funktionen des Binokularsehens.
Die Studie zeigte auch, dass eine Anisometropie positiv mit dem Alter, der Akkommodationsreaktion und der Nahstereopsis aber negativ mit der Akkommodationsamplitude und Fern- und Nah-Heterophorie korreliert. Die Akkommodationsbreite nahm mit Zunahme der Anisometropie ab und der Abstand zu den normalen Alterswerten der Akkommodation vergrößerte sich.
Auch in der aktuellen OCL-Ausgabe finden sich zwei interessante Publikationen zum Thema Binokularsehen. Hierzu gehört eine Originalarbeit zum Thema „Wie disruptiv sind monokulare Vergleichsbedingungen wirklich? – Eine erneute Analyse von 260 Datensätzen zur Beschreibung des binokularen Vorteils beim Lesen“ und eine Kasuistik, welche sich mit der „Optometrischen Vision Therapy“ beschäftigt.
In seinem Vorwort zur vierten Auflage des Buches „Pickwell‘s Binocular Vision Anomalies“ schreibt der Autor Bruce J. W. Evens: „Zu den Anomalien des Binokularsehens gibt es eine Vielzahl von Theorien und Therapien, und es kann schwierig sein, die Spreu vom Weizen zu trennen“.3
In diesem Sinne wünsche ich mir auch weiterhin viele Forschungsaktivitäten zum besseren Verständnis der auch heute noch existierenden offenen Fragen in der Diagnose und Behandlung von Störungen im Binokularsehen.
[1] Wiecek, E , Kosovicheva, A., Ahmed, Z., Nabasaliza, A., Kazlas, M., Chan, K., Hunter, D. G., Bex, P. J. (2024). Peripheral Binocular Imbalance in Anisometropic and Strabismic Amblyopia. Invest. Ophthalmol. Vis. Sci., 65, 36.
[2] Zhuang, C. C., Zhang, L., Pan, S. S., Wang, Y. N., Guo, J. X. (2024). Accommodation and Binocular Vision in Children with Myopic Anisometropia. J. Ophthalmol., 6525136.
[3] Evans B. J. W. (2002). Binocular Vision Anomalies. Butterworh-Heinemann, Elsevier Limited.