Keratokonus, Sklerallinsen und Glaukom-Drainage-Implantat
Zweck:
Der vorliegende Fallbericht beschreibt die Sklerallinsenversorgung bei einem fortgeschrittenen Keratokonus in Verbindung mit einer zusätzlichen Glaukomoperation.
Material und Methoden:
Im Anschluss an die Implantation eines Drainage-Implantats erfolgte die beidseitige Anpassung von Sklerallinsen. Für die Kontaktlinsenversorgung war es essenziell, mit einem Sklerallinsensystem zu arbeiten, das individuelle Zonengrößen und Randöffnungen in der skleralen Auflagezone zulässt, um eine Provokation des postoperativen Bereiches zu verhindern.
Ergebnisse:
Aufgrund des individualisierten Designs der Sklerallinsen konnte der Patient postoperativ nach erfolgreicher Implantation eines Drainage-Implantats wieder erfolgreich Sklerallinsen tragen. Voraussetzung hierfür war auch, dass der Operateur bei der Wahl der Operationsmethode die Notwendigkeit einer späteren postoperativen Versorgung mit Sklerallinsen berücksichtigte.
Fazit:
Auch bei komplexen Hornhautformen sowie operativen Eingriffen am Auge können erfolgreich Sklerallinsen angepasst werde. Hierfür ist neben einer großen klinischen Erfahrung in der Anpassung solcher Kontaktlinsen auch eine individuelle Fertigung derselben auf Basis der vom Kontaktlinsenspezialisten gewünschten Kontaktlinsenparameter notwendig.
Purpose:
This case report describes scleral lens fitting for advanced keratoconus in combination with additional glaucoma surgery.
Material and Methods:
The implantation of a drainage implant was followed by the bilateral fitting of scleral lenses. For contact lens fitting, it was essential to work with a scleral lens system that allows individual zone size and edge clearance in the scleral alignment zone to prevent provocation of the postoperative area.
Results:
Due to the individualized design of the scleral lenses, the patient was able to wear scleral lenses again postoperatively with successful implantation of a drainage implant. A
prerequisite for this was also that the surgeon considered the necessity of a later postoperative fitting with scleral lenses when choosing the surgical method.
Conclusion:
Scleral lenses can also be successfully fitted in cases of complex corneal shapes and surgical procedures on the eye. This requires not only a great clinical experience in fitting such contact lenses, but also an individual manufacturing of the contact lenses based on the contact lens parameters specified by the contact lens specialist.
Einleitung
Beim Keratokonus handelt es sich um eine fortschreitende, vorwiegend asymmetrische und kegelförmige Vorwölbung der Hornhaut, welche eine parazentrale Verdünnung im Apex verursacht.1 (Bild 1)
Santodomingo-Rubido et al. publizierten im Jahr 2022 geschätzte Prävalenz- und Inzidenzraten für einen Keratokonus zwischen 0,2 und 4,79 pro 100.000 Personen sowie 1,5 bis 25 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr, wobei sich die höchsten Raten bei 20- bis 30-Jährigen sowie bei Personen aus dem Nahen Osten und asiatischen Ethnien finden.2
Unter den Keratokonuspatienten befinden sich mitunter Betroffene mit einem Glaukom. Cohen und Meyers veröffentlichten in diesem Kontext im Jahr 2010 eine Arbeit zum Thema Keratokonus und Normaldruckglaukom.3 Sie fanden eine Korrelation zwischen der viskoelastischen Hornhauteigenschaft (Korneale Hysterese) und dem Schweregrad eines Keratokonus beziehungsweise einer pelluziden marginalen Degeneration; dieser Zusammenhang bestand bei den Patienten mit Glaukom oder Glaukomverdacht nicht. In einer weiteren Publikation berichtete Khalil im Jahr 2022 über einen 23-jährigen Patienten mit juvenilem Glaukom und subklinischem Keratokonus.4 Der Autor vermutete, dass es bei Vorliegen eines juvenilen Glaukoms und subklinischem Keratokonus nach einer chirurgischen Senkung des intraokularen Augendrucks (IOD) postoperativ zu biomechanischen Veränderungen der Hornhaut kommen kann. Die Anpassung von Kontaktlinsen bei Glaukompatienten in Verbindung mit einer operativen Senkung des Augeninnendrucks erfordert mitunter in Abhängigkeit von der Operationsmethodik eine differenziertere Anpassung der notwendigen Kontaktlinsen.

Material und Methoden
Ein 62-jähriger Kaukasier, welcher seit 25 Jahren aufgrund seines Keratokonus beidseitig mit formstabilen Kontaktlinsen versorgt wurde, stellte sich zwecks Neuanpassung von Kontaktlinsen vor. Seit zwölf Jahren trug der Patient Sklerallinsen. Ebenfalls lag bei dem Patienten ein Glaukom vor. Aufgrund des Fortschreitens des Glaukoms am linken Auge riet der behandelnde Augenarzt zu einer operativen Senkung des Augeninnendrucks. Da der Patient auch postoperativ wieder Sklerallinsen tragen wollte, entschied sich der Augenarzt für die Implantation eines Drainage-Implantats mit einem längeren Abflusskanal, welches im Gegensatz zu einer traditionellen Filtrationsoperation und dem hiermit unter der Bindehaut entstehendem Sicker- oder Filterkissen geeigneter für das Tragen von Sklerallinsen ist. Der Grund für die in der Regel schlechtere Eignung von Sklerallinsen bei einer traditionellen Filtrationsoperation und resultierendem Sickerkissen gegenüber Corneallinsen liegt darin begründet, dass die sklerale Auflageflächen der Sklerallinsen in etwa im Bereich des gewünschten Sickerkissen liegen würden.
Die Implantation eines Drainage-Implantat wurde erstmalig von Molteno 1969 vorgestellt.5 Drainage-Implantate werden heute gerade bei fortgeschrittenen Glaukomen eingesetzt. Hierbei wird mittels eines Silikonröhrchens Kammerwasser von der vorderen Augenkammer unter der Bindehaut zu einer Basisplatte im Bereich der äquatorialen Sklera geleitet und von dort abtransportiert.6
Ergebnisse
Refraktion objektiv und Visus cc
OD: sph −35,00 cyl −14,75 Achse 75° Vcc 0,12
OS: sph −34,75 cyl −8,25 Achse 75°A Vcc 0,16
Hornhauttopometrie
Hornhauttopografie und Sitzverhalten der
bisherigen Sklerallinse (rechtes Auge)
Aufgrund der zunehmend steileren zentralen Hornhautradien war eine zufriedenstellende Kontaktlinsenversorgung mit cornealen Keratokonuslinsen nicht mehr möglich.
Die sehr ungleichen Exzentrizitäten in den einzelnen Halbmeridianen und die sehr steilen zentralen Radien führten dazu, dass trotz torischer quadranten-differenter Kontaktlinsengeometrie, kein gutes Sitzverhalten mit einer cornealen Kontaktlinse zu erreichen war. Sehr oft wurde schon beim geringsten Blick nach oben die Kontaktlinse aus dem Auge gehebelt. Auch wenn die Kontaktlinsenradien bereits kleiner als 5 mm waren, saß die Linse bei einem apikalen Radius von 3,12 mm immer noch extrem flach, und es gab die Bedenken, dass dadurch apikale Narben und ein Staphiloma cornae provoziert werden könnte. Die extreme Irregularität mit einem Aberrationskoffizienten (ABR) von 24.746,27 war eine weitere Entscheidungshilfe in Richtung Sklerallinsenversorgung. Da ein ABR-Wert von 4,0 bereits einer Irregularität eines Kertokonus im Stadium 4 entspricht, kann man die Irregularität von einem ABR-Wert von über 24.000 nur erahnen und als extrem irregulär einstufen. Aus diesem Grund bot sich auch schon in der Vergangenheit eine Sklerallinsenanpassung an; die Linsen wurden in den letzten zwölf Jahren in Verbindung mit notwendigen Parameteränderungen in einem Zeitintervall von eineinhalb Jahre relativ gut mit Einschränkungen getragen.insen nicht mehr möglich.
Linsenparameter der getragenen Kontaktlinse
OD r0 horizontal 4,57 mm; r0 vertikal 3,82 mm;
Apex-Radius 3,12 mm; zentraler Astigmatismus −14,6 mm
εhor = −0,97; εver = +1,19; εsup = +1,16; εinf = +1,22;
εtemp = −0,46; εnas = −1,47; ABR: 24.746,27
Hornhauttopografie und Sitzverhalten der bisherigen Sklerallinse [linkes Auge (Bild 2)]
Auf der linken Seite war die Keratokonusversorgung mit normal großen Kontaktlinsen einfacher, weil die Radien zentral ein wenig flacher waren. Auch die Exzentrizitäten in den einzelnen Halbmeridianen hatten geringere Differenzen. Die extreme Irregularität, die mit am ABR (Aberrationskoffizienten) von 4.887,46 leicht ablesbar ist, war eine weitere Entscheidungshilfe in Richtung Sklerallinsenversorgung (Bild 3). Die zum Zeitpunkt der Konsultation getragenen Sklerallinsen zeigten eine zu hohe Überbrückung (Bild 4). Konjunktivale Falten und Neovaskularisationen waren die Folge. Dies war ein Zeichen dafür, dass die Sauerstofftransmissibilität der Tränenflüssigkeit mit ca. DK/t 80 × 10−11 Barrer, deutlich geringer war, als der DK/L-Wert der Kontaktlinse mit in der Zwischenzeit DK/t 180 × 10−11 Barrer.



Linsenparameter der getragenen Kontaktlinse
OS r0 horizontal 5,29 mm; r0 vertikal 6,08 mm;
Apex-Radius 3,60 mm, zentraler Astigmatismus −8,3 mm
εhor = +0,97; εver = +1,19; εsup = +0,72; εinf = +1,53;
εtemp = +0,85; εnas = +1,10; ABR: 4.887,46
Kontaktlinsenneuanpassung am linken Auge
Aufgrund des sich zwischenzeitlich fortgeschrittenen Glaukoms am linken Auge und der Implantation eines DrainageImplantats musste eine Kontaktlinsenneuanpassung vorgenommen werden. Da der operierende Augenarzt wusste, dass der Patient auch weiterhin Sklerallinsen tragen wollte, wurde der Abflusskanal des Drainage-Implantats so weit nach hinten abgeleitet , dass die Sklerallinse dort nicht ein etwaiges Sickerkissen berühren oder drücken konnte (Bild 5 und Bild 6).


Der erste Versuch, postoperativ wieder eine Sklerallinse anzupassen, misslang. Die Auflage der Linse in der Konjunktiva war zu fest und erzeugte ein unangenehmes Gefühl sowie eine Rötung (Bild 7).
Erste Linsenparameter postoperativ
OD SMT −29 / 6,5 / −8,00 / 11,0 / 13,0 / ×415 / 16,5 / 10,0 /
Mat. Optimum extreme
OS SMT −28 / 6,6 / −10,00 / 11,0 / 13,0 / ×418 / 16,5 / 10,0 /
Mat. Optimum extreme
Leider erzeugte die Linse am linken Auge zentral zu viel Sog und zeigte eine zu strenge Auflage im Bereich der skleralen Konjunktiva (Bild 8). Bei der rechten Sklerallinse, die ähnlich saß, störte dies im Gegensatz zur linken Linse, bei der die Auflagezone den operierten Bereich überdeckte, nicht Die Konjunktiva am linken Auge zeigte eine immer massiver werdende Rötung, und die Sklerallinse konnte am Abend nur schwer vom Auge entfernt werden.


Neue Sklerallinse linkes Auge
Eine neue linke Linse wurde mit einer geringeren Scheiteltiefe und einer anderen Randgestaltung wie folgt gefertigt:
- Der x-Wert für die Scheiteltiefe wurde von 4.180 µm auf 3.700 µm reduziert.
- Der Skleralradius wurde von 11,00 mm auf 11,50 mm verlängert, um im operierten Bereich mehr Öffnung – und somit weniger Auflage zu erreichen.
- Zur peripheren Entlastung wurde die Rückflächenperipherie von einem Wert von −28 auf 08/−110+ verändert, wodurch die Landezone im operierten Bereich „weicher“ ausfiel (Bild 9 und Bild 10).


Die Parameter der Rezeptlinsen waren wie folgt:
OD SMTT 211/−29+ / 6,7 / −5,62 −1,12 140° / 11,0 / 13,0 /
×387 / 16,5 / 10,0 / Mat. Optimum Infinity
OS SMTT 08/ −110+ / 7,1 / −4,62 −1,50 180° / 11,5 / 13,0 /
×370 / 16,5 / 10,0 / Mat. Optimum Infinity
Eine Rötung der Konjunktiva war weiterhin erkennbar. Diese war aber deutlich geringer als mit der vorherigen Linse und entsprach dem Grad der Rötung auch ohne Kontaktlinse. Beide Kontaktlinsen wurden nun subjektiv und objektiv gut toleriert.
Fazit
Eine Umrüstung von Sklerallinsenträger*innen auf „normale“ formstabile Kontaktlinsen gestaltet sich meistens schwierig. Nachdem im vorliegenden Fall eine Glaukom-Operation mit
einem Drainage-Implantat durchgeführt werden musste, wäre eine weitere Versorgung mit Sklerallinsen nicht mehr möglich gewesen. Umgekehrt verbot sich bei diesem extremen Keratokonus und der Kontaktlinsenhistorie die Anpassung von kleineren formstabilen Kontaktlinsen.
Der Operateur des Patienten berücksichtigte mit Hilfe eines Drainage-Implantats mit einem längeren Abflusskanal die erschwerten Anpass-Voraussetzungen. Dies ermöglichte nach der notwendigen Operation das gewünschte und erforderliche Tragen der Sklerallinsen. Rücksicht genommen musste natürlich bei der Anpassung der Linsen auf die operierte Stelle, um dort mit ausreichend peripherer Öffnung der Kontaktlinse den operierten Bereich nicht zusätzlich zu reizen. Hierbei ist es wichtig, mit Sklerallinsenhersteller zusammen zu arbeiten, welche individuelle Parameteränderungen im Bereich der Zonengröße und des Skleralradius anbieten. Diese waren im vorliegenden Fall die wichtigsten Parameter, um die kontaktoptische Versorgung in dieser Komplexität zufriedenstellend lösen zu können.
Bilder: Copyright by Gustav Pöltner.
Interessenkonflikt
Der Autor hat keinen Interessenkonflikt in Bezug auf die im Artikel genannten Methoden und Geräte.