Editorial: Myopie im Zeichen der Zeit
Kaum ein Thema beschäftigt die Eye Care Community so intensiv wie die Myopie. Auch die Septemberausgabe von Optometry and Contact Lenses (OCL) widmet sich mit drei Beiträgen dieser Thematik, die schon seit Jahrhunderten Wissenschaftler und Kliniker beschäftigt. In diesem Kontext geben die 1933er Publikation des Berliner Augenarztes Greef 1 sowie die 2018er Arbeit des niederländischen Augenarztes de Jong 2 einen ausgezeichneten Überblick über den Gesamtkomplex Myopie im Zeichen der Zeit. So erfährt der Leser, dass der griechische Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christi erstmalig den Begriff Myopie benutzte. Ebenfalls lernt der Leser, dass der Breslauer Augenarzt Hermann Cohn (1838 – 1906) zum ersten Mal statistische Untersuchungen zur Entwicklung der Myopie bei Kindern durchführte. Ausführlich beschreibt Greef auch die frühen Theorien bezüglich der Ursachen einer Mypoie. Hierzu gehörte unter anderem
- die Erblichkeitstheorie,
- die Akkommodationstheorie,
- die Konvergenztheorie,
- die Hasner-Weißsche Sehnervenzerrungstheorie,
- die Stillingsche Augenhöhlenbau- oder Rollmuskeltheorie,
- die Lewinsohnsche Theorie.
Der Augenarzt de Jong schreibt in seiner schon genannten Publikation, dass der Benediktiner Mönch Maurolycus als Erster schon im Jahr 1554 die Refraktion des Auges in „short vision“ (Myopie), welche durch konkave Linsen und „long vision“ (Hyperopie), die durch konvexe Linsen korrigiert werden müsste, unterteilte. Interessant sind auch die Ausführungen von de Jong bezüglich der Überlegungen von Hermann Boerhave, der in seiner 1751er Publikation „Abhandlung von Augenkrankheiten und derselben Kur“ eine „ausgeprägte Augenlänge“ als Ursache einer Myopie nannte sowie die von Greef publizierten Überlegungen des Schweizer Ophthalmologen Sidler-Huguenin, der sich schon Anfang des 20sten Jahrhunderts neben Überlegungen bezüglich der Ursachen einer Myopie auch der Frage „Kann man mit geeigneten Mittel die Kurzsichtigkeit zum Stillstand bringen“, widmete.
Beginnend mit dem 19ten Jahrhundert beschäftigten sich bis Mitte des 20sten Jahrhunderts vornehmlich europäische Ophthalmologen und hier vor allem auch deutschsprachige Augenärzte mit der Myopie und Ihrer Genese. War die Ursachen- und Präventionsforschung für den Komplex Myopie in der Vergangenheit primär eine Domäne der Ophthalmologie, so sind seit geraumer Zeit vor allem auch Kliniker und Wissenschaftler aus dem Bereich der Optometrie hier weltweit aktiv.
Optometry and Contact Lenses (OCL) richtet sich an die Angehörigen der eng mit einander verzahnten Berufe der Optometrie und Ophthalmologie. Das Thema Myopie in der vorliegenden OCL dürfte gleichermaßen für die Angehörigen beider Berufsstände interessant sein.
Ihr
Wolfgang Cagnolati
[1] Greef, R. (1933). Das rechtsichtige und fehlsichtige Auge. In: Der Augenoptiker, II. Band: Das menschliche Auge (eds. H. Pistor und R. Greef), Panses Verlag, Weimar, pp. 156-220.
[2] de Jong, P. T. V. M. (2018). Myopia: its historical contexts. Br. J. Ophthalmol., 102, 1021-1027.