Interview

20 Jahre „sleeplens“ Orthokeratologie: ein Interview mit Wolfgang Laubenbacher

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1*Pennsylvania College of Optometry at Salus University, Augen- und Sehzentrum Optometrie Cagnolati GmbH
Wolfgang Laubenbacher, Geschäftsführer der Techlens WL Contactlinsen GmbH

Im Jahr 1962 entwickelte der amerikanische Optometrist George Jessen das erste Orthokeratologie-Design für Kontaktlinsen aus einem PMMA-Material. Ebenfalls im Jahr 1962 wurde die „Society für Orthokeratology“ gegründet, an deren Entstehung Georg Jessen maßgeblich mitbeteiligt war. 60 Jahre später nun feiert die Techlens WL Contactlinsen GmbH das 20-jährige Jubiläum seit der Einführung von „sleeplens“ Orthokeratologie-Kontaktlinsen im Jahr 2002.

Wolfgang Cagnolati sprach mit dem Geschäftsführer der Firma TECHLENS WL Contactlinsen GmbH Wolfgang Laubenbacher über den Gesamtkomplex der Orthokeratologie in den zurückliegenden 20 Jahren sowie über zukünftige mögliche Entwicklungen.

Herr Laubenbacher, im Jahr 2002 wurden die ersten „sleep&see“ Orthokeratologie-Kontaktlinsen von der damaligen Firma Techno-Lens auf den Markt gebracht. Sie waren von Anfang an dabei. Was waren die Beweggründe für die Einführung dieser Kontaktlinsen?

Der Kick-off für uns war im Jahr 2000 ein Vortrag und Workshop von Patrick Caroline (Associate Professor at Pacific University of Optometry, FAAO) auf einer von Contopharma und Techno-Lens veranstalteten Fachtagung im olympischen Museum in Lausanne. Ortho­keratologie war damals noch überhaupt kein Thema in Mitteleuropa. Patrick Caroline aus den USA war eingeladen, um über dieses Thema zu referieren. Patrick Caroline hat die wunderbare Gabe, komplizierte Sachverhalte einfach, begeisternd und hochprofessionell darzustellen. Diese Begeisterung nahmen meine damaligen Kollegen von Techno-Lens SA in Lausanne, Phlippe Seira und Bruno Fantony sowie ich, als Verantwortlicher von Techno-Lens Deutschland, auf und der Entschluss, Ortho-K-Linsen im D-A-CH Raum anzubieten, wurde gefasst. Anfangs war geplant, ein bewährtes Design aus den USA in Lizenz zu produzieren und auf den Markt zu bringen, doch nach Analyse der unterschiedlichen Anpassmodalitäten in USA und Mitteleuropa entschieden wir uns, ein eigenes Design, basierend auf der Gleichlaufanpassung einer asphärischen Linse und eine eigene Anpassstrategie zu entwickeln. 2002 haben wir dann „sleep&see“ auf den Markt gebracht.

Die ersten Orthokeratologie-Linsen hießen „sleep&see“. Die jetzigen Linsen der Firma Techlens WL Contactlinsen GmbH heißen nun „sleeplens“ was ist der Grund für diese Namensänderung?

„sleep&see“ sollte nicht nur ein Produktname sein, sondern für ein ganzes Konzept stehen. Gut schlafen und gut sehen. Bei Orthokeratologie wird ja ohne das Produkt zu nutzen, scharf gesehen. Die Bezeichnung „sleep&see“ war verbunden mit der Produktion der Linsen bei Techno-Lens in Lausanne. 2016 hat Techno-Lens seine Produktion und den Vertrieb in der Schweiz eingestellt. Ich habe den Vertrieb in Deutschland mit einem namhaften Partner unter neuer Firmierung übernommen und seitdem werden unsere Linsen bei der Hecht Contactlinsen GmbH produziert. Das Konzept und auch das Design blieben weitestgehend unverändert. Mit dem Wechsel des Pro­duzenten und den damit verbundenen minimalen Änderungen, haben wir alle Produktbezeichnungen gering­fügig angepasst, und so wurde aus „sleep&see“ „sleeplens“ – wie auch aus der früheren Firmenbezeichnung „Techno-Lens“ nach diesem Umbruch leicht verändert „Techlens“ wurde.

Im Jahr 1965 veröffentlichte der amerikanische Optometrist Sanford L. Ziff die erste weltweite Orthokeratologie-Studie mit dem Titel „Orthokeratology in relation to existing corneal curvatures“ im Southern Journal of Optometry.1 Blicken wir nun die letzten Jahrzehnte einmal zurück, worin unterschieden sich die ersten Orthokeratologie-Kontaktlinsen von der jetzigen Linsengeneration.

Die ersten Ortho-K-Linsen waren einfach nur extrem flach angepasste PMMA-Linsen. Mit Ihnen wurde versucht, die Cornea „platt“ zu drücken, um die Myopie zu korrigieren. Diese Linsen wurden auch nicht während des Schlafes getragen. Auch das Problem des „spectacle blur“ aus der flach anpassenden PMMA-Zeit, geht auf den damaligen Orthokeratologie-Effekt zurück. Wir haben deshalb auch immer bewusst von moderner Orthokeratologie gesprochen, denn Ortho-K-Linsen jetziger Bauart haben mit einem Flachdrücken der Hornhaut nichts mehr zu tun. Diese Linsen zeichnen sich heute durch die Aneinanderreihung unterschiedlichster sphärischer, asphärischer und torischer Geometrien aus, um ein bestimmtes Tränenfilmprofil zwischen Cornea und Linsenrückfläche zu erreichen. Dieses unterschiedlich dicke Tränenfilmprofil erzeugt unterschiedliche Kapillarkräfte und „saugt“ dann die Hornhaut schonend in die gewünschte Form mit zentraler Abflachung.

Das Design der Linsen und die Sauerstoffpermeabilität ist das Eine, welchen Einfluss haben Entwicklungen im Bereich der ophthalmologischen Geräte, wie unter anderen moderne Keratographen oder auch die Scheimpflug-Technologie für den Gesamtkomplex der Orthokeratologie?

Ohne die Technik moderner, bildgebender Topographie ist Orthokeratologie nicht möglich. Zum Einen, um das Linsendesign zu berechnen, zum anderen und noch wichtiger, um zu beobachten und dokumentieren, welche Geometrieveränderungen in der Hornhaut stattfinden. Neben dem Fluoreszeinbild sind die Topographien auch unerlässlich wenn es um die Verbesserung einer Anpassung und Modifizierung der Linse geht. Nur die Topographie erlaubt uns zu erkennen, wo und wie die Linse im Schlaf auf die Hornhaut einwirkt. Sehr hilfreich sind dabei Topographen, deren Software eine Differenzbilddarstellung ermöglicht. Durch die zusätzlichen Erkenntnisse aus der Topographie haben wir im Vergleich zur herkömm­lichen Linsenanpassung bei Orthokeratologie noch mehr Informationen zur Optimierung des Linsensitzes.

Schauen wir uns nun einmal den Markt für Orthokeratologie Kontaktlinsen in den deutschsprachigen Ländern Europas an. Wie hoch ist der Anteil an Orthokeratologie Linsen Träger in Deutschland Österreich und der Schweiz. Gibt es prozentuale Unterschiede zwischen den drei Ländern, und was könnten die Gründe hierfür sein?

Generell ist der prozentuale Anteil an Linsenträgern in Österreich und vor allem in der Schweiz höher als in Deutschland. Das ist dann auch bei Orthokeratologie zu beobachten. Gesichertes Zahlenmaterial hierzu liegt nicht vor, denn Orthokeratologie ist ein sehr kleines Nischensegment. Aus den vorliegenden Daten über formstabile Linsen und Schätzungen denke ich, dass es in Deutschland circa 15.000 Ortho-K-Linsenträger gibt. Prozentual ist der Anteil in den Nachbarländern höher, insbesondere in den Niederlanden, wo der Anteil etwa zehnmal höher sein dürfte als in Deutschland, obwohl die Vorgehensweisen und Produkte auf vergleichbar sehr hohem Niveau in beiden Ländern sind. Vielleicht ist es eine Mentalitäts­sache, in Deutschland sieht man eher die Probleme, die entstehen könnten und bleibt zurückhaltend. Insbesondere in Holland – aber auch in der Schweiz sieht man die vielfältigen Chancen mit dieser Methodik und geht offensiver zu Werke. Um die Anteile zu erhöhen, gibt das in der Fachwelt derzeit vorherrschende Thema Myopiemanagement der Orthokeratologie einen enormen Rückenwind. Die hohe Wirksamkeit ist in vielen Studien nachgewiesen und der große Vorteil gegenüber allen anderen Systemen mit Brillengläsern und Kontaktlinsen ist, dass die Kinder oder Jugendlichen tagsüber keine Sehhilfe tragen müssen. Die Myopie wird nicht nur gebremst, sie wird auch nicht mehr wahrgenommen. Aus vielen von uns versorgten Kindern sind längst Erwachsene geworden, die diesen Vorteil nicht mehr missen möchten. Das Empfehlungsmarketing, das von zufriedenen Ortho-K-Linsenträgern ausgeht, ist mit der wichtigste Werbebaustein.

Lange Zeit galt nur die Myopie bis drei maximal vier Dioptrien als eine Indikation für eine Orthokeratologie-­Versorgung; gilt dies heute immer noch? Wie sieht es dann mit Hyperopie-Korrektionen oder Versorgungen bei einer Presbyopie aus? Welche Möglichkeiten aber auch Grenzen bestehen hier?

Man kann auch Myopien über sechs Dioptrien oder auch Hyperopien mit Orthokeratologie korrigieren. Den Erfolgen sind aber hier Grenzen gesetzt. Unser Ziel ist es, mit einer „sleeplens“-Anpassung, erfolgreich, sicher und schnell ans Ziel zu kommen. Und das ist bei moderaten Myopien bis circa fünf Dioptrien sehr gut möglich. Zwischen -0,75 dpt und -5,00 dpt Kurzsichtigkeit befinden sich circa 75 Prozent aller Fehlsichtigkeiten. Von daher ist von refraktiver Seite her eigentlich genügend Potenzial an möglichen Interessenten vorhanden. Presbyopen bietet Orthokeratologie ganz nebenbei eine Unterstützung, denn die Hornhaut wird in eine multifokale Geometrie gebracht. Zentral wird sie flacher, in der Peripherie steiler, das entspricht im Wesen dem Design einer multifokalen „Center Distance“ Kontaktlinse. Durch Veränderung der Zonengröße der zentralen Optik kann dieser Effekt zusätzlich beeinflusst werden. Diese neue Formgebung der Cornea ist auch der Grund für den erfolgreichen Einsatz von Orthokeratologie beim Myopiemanagement. Natürlich sind auch Maßnahmen wie Monovision oder Unterkorrektur mit Ortho-K leicht durchzuführen.

Wolfgang Laubenbacher an der Spaltlampe.

Kommen wir nun zu der Frage der Verkehrssicherheit. Wie sicher sind Orthokeratologie-Versorgungen beim nächtlichen Autofahren, und was müssen Autofahrer*innen beachten, welche einen Führerschein erwerben wollen oder schon eine Fahrerlaubnis besitzen? Wie können die Letzteren nachweisen, dass trotz eines Vermerks im Führerschein bezüglich einer notwendigen Sehhilfe keine Brille oder Kontaktlinse notwendig ist?

Ich habe 1979 meinen Führerschein erworben, damals war ich kurzsichtig und seitdem stand ein Sehhilfenvermerk im Führerschein. Diesbezüglich hat sich in den letzten 43 Jahren verkehrstechnisch keiner mehr für meine Sehleistung als Fahrzeuglenker interessiert, aber mein Auto muss alle zwei Jahre zu einer technischen Prüfung. Das nur nebenbei bemerkt. Ortho-K-Linsen sind in erster Linie ein „Werkzeug“, welches bei regelmäßiger Anwendung zu einem hohen Visus ohne eine Sehhilfe führt. Deshalb raten wir zu einem erneuten Führerscheinsehtest ohne aktiv genutzte Sehhilfe. Diese Sehtestbescheinigung ist ein Dokument, das zwei Jahre gültig ist und als Nachweis der erforderlichen Sehleistung nach Fahrerlaubnisverordnung dient, auch wenn im Führerschein ein Sehhilfenvermerk eingetragen ist. Sie soll also zum Führerschein mitgeführt werden. Kontaktlinsenpässe oder Nachtlinsenausweise können dabei unterstützen. Um der Problematik ganz aus dem Weg zu gehen, habe ich mir einen neuen Führerschein ohne Sehhilfenvermerk ausstellen lassen, wie das auch Patienten nach LASIK machen. Das bedeutet natürlich nicht, sollte man seine Myopie wieder „reaktivieren“, dass ohne geeignete Brille oder Kontaktlinsen ein Auto geführt werden darf. In § 1 der StVO sind die grundlegenden Verhaltensregeln im Straßenverkehr festgelegt, um sich und andere nicht zu gefährden. Über die Eigenverantwortung, sich nur mit ausreichender Sehleistung am Straßenverkehr zu beteiligen, ist der Orth-K-Linsenträger aufzuklären. Hilfreich kann es sein, die bisherige Brille mit einer leichten Minuskorrektur für das nächtliche Autofahren auszustatten. Dann hat man eine Brille im Auto und sie unterstützt bei einer Nachtmoypie. Sollte noch, beispielsweise durch inneren Astigmatismus, eine leichte Restfehlsichtigkeit vorhanden sein, kann man diese damit auch ausgleichen. Der Betroffene hat dann für das nächtliche Autofahren eine Sehhilfe für die perfekte Sicht. Es ist auch möglich, die Ortho-K-Linsen im wachen Zustand zu tragen, damit ist immer eine optimale Sehleistung erreicht.

Herr Laubenbacher, Sie selbst sind ja erfolgreicher Träger von Ortho-K-Linsen aber auch Anpasser und gefragter Referent für den Gesamtkomplex Orthokeratologie. Was hat Sie an der Orthokeratologie so begeistert, dass Sie nicht nur selbst Ortho-K-Linsen tragen, sondern auch Patienten mit diesen Linsen versorgen und hierüber referieren und publizieren?

Ich bin vier Dioptrien kurzsichtig, und kann mich noch erinnern, wie ich als Kind ständig stärkere Brillengläser benötigte. Da hätte ich schon gerne von den Vorzügen des Myopiemanagements mit Ortho-K profitiert. Als Augenoptiker war ich natürlich mit Sehhilfen bestens versorgt und habe gerne eine Brille im Wechsel mit Kontaktlinsen getragen. Die Neugier, wie kann das im Schlaf funktionieren, hat mich bewogen, Ortho-K-Linsen zu testen, und das Resultat hat mich vollends begeistert. Der Wunsch eines jeden Myopen, morgens aufzuwachen und ohne Sehhilfe den ganzen Tag gut zu sehen, ist in Erfüllung gegangen. Ich habe mit 40 Jahren mit Ortho-K-Linsen angefangen und bin jetzt 60 Jahre alt. Was Presbyopie ist, wusste ich schon vorher, aber sie selbst zu erleben, ist noch mal eine ganz andere Dimension; auch hier bietet mir „sleeplens“ mit dem Multifokaleffekt Vorteile. Klar, die eingebaute vier Dioptrien starke „Nahbrille“ hätte ich gelegentlich schon einmal ganz gerne wieder, aber die vielen Vorteile, gerade auch beim Sport, möchte ich nicht missen. Aber das Schöne bei der Methodik ist, dass ich jederzeit zu meiner Myopie zurückkehren kann. Meine persönliche Begeisterung für Orthokeratologie hilft mir enorm bei den vielen Schulungen die wir durchführen, bei der Kommunikation mit Patienten und bei der Linsenanpassung. Es macht einfach mehr Spaß, über Themen zu referieren, zu denen man hundertprozentig steht und den Vorteil selbst erlebt. Auch als Repräsentant einer Kontaktlinsenfirma trage ich lieber keine Brille.

Zum Schluss noch eine Frage zur Sicherheit von Ortho-K-Versorgungen. Wie sicher ist das Tragen von Ortho-K-Linsen, in welchen Zeitabständen sollen Ortho-K-Linsen ausgetauscht werden, und in welchen Zeitabständen sind Nachkontrollen bei Trägerinnen oder Trägern von Ortho-K-Linsen notwendig.

Für mich ist Orthokeratologie inzwischen die sicherste Form der Linsenanpassung. Dies aus dem Grund, da die Ortho-K-Linsenträger die am besten gemanagte Gruppe von Kontaktlinsenträgern sind. Und das relativiert die oft vorgetragenen, erhöhten Risiken beim Linsentragen während des Schlafes. Risiken mit formstabilen Linsen sind gegenüber dem Weichlinsentragen grundsätzlich minimal. 2002 waren wir zwei Anbieter, die Ortho-K auf dem deutschen Markt eingeführt haben. Unabhängig voneinander haben wir ein enges Kontrollschema sowie einen jährlichen Linsenaustausch nicht nur empfohlen, sondern vorgeschrieben. Das haben die Anpasser umgesetzt, und so nebenbei haben wir damit ein regelmäßiges Austauschintervall bei den formstabilen Linsen eingeführt. Heute ist diese stringente Vorgehensweise zum „Goldstandard“ bei Orthokeratologie geworden. Ebenfalls schon fast obligatorisch ist eine tägliche Desinfektion mit Peroxydsystemen und regelmäßige Proteinentfernung. Bis dato waren Peroxyd und formstabile Linsen kaum in Verbindung gebracht worden. Auch das führt zu einer maximalen Sicherheit in der Bereich der Linsenhygiene. Hinzukommen die Selektionskriterien; eine Ortho- K-Linsenanpassung erfolgt nur bei regelmäßigen unauffälligen Hornhauttopographien, einem unauffälligem vorderen Augenabschnitt in Verbindung mit moderaten Myopien. Nach einer Umfrage von mir im Jahr 2019 befinden sich fast 90 Prozent aller Ortho-K-Linsenträger in einem sogenannten Abo-System, was die Patientenbindung, die Bereitschaft Kontroll- und Austauschtermine einzuhalten und damit ein sicheres Linsentragen zusätzlich enorm erhöht. 


Literaturverzeichnis

[1] Ziff, S. L. (1965) Orthokeratology in relation to existing corneal curvatures. So. J. Opt., 7, 9-19, 30-35, 37.